Georg Christoph Lichtenberg

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Seite 149

Band 3 - III. Von der Bewegung überhaupt - Heffte

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3
0
1 würckt die Schwere nur nach einer Richtung, die Trägheit nach
2 allen, selbst der Richtung der Schwere entgegen NB. |
3 22r = EAber nun ist die Frage, soll man dieses eine Vim inertiae nennen?
4 HE. HofR. Kästner erklärt sich hierüber in seiner höheren Me-
5 chanic vortrefflich und man sieht daraus, was der Witz vermag,
6 wenn er mit gründlicher Kenntniß der Sache seine Aehnlichkei-
7 ten wählt. Er nennt sie nicht so wohl eine Krafft, als ein Echo
8 der Krafft, dieses drückt die Sache vortrefflich aus, denn eigent-
9 lich ist jede reactio ein Echo der action.66 – Indessen da ein Kör-
10 per, der einmal in Bewegung gesezt ist, eben das wieder andern
11 leisten kan, was ich ihm geleistet habe, so solte man auch mit
12 dem Ausdruck Vis inertiae nicht so geitzig seyn. – Um sie hier-
13 über zu beruhigen, will ich Ihnen ein Paar Autoritäten anführen,
14 und darunter eines von dem grösten Gewicht (Compend. Edit. 4.
15 p. 46 am Rande.)67
16 Fräncklin. Es ist da bloses Gleich-Gewicht, allein wäre die Mücke
17 gegen eine noch mal so große Sonne geflogen so würde die Ge-
18 schwindigkeit nur halb so groß gewesen seyn.(63)
19 Also man halte sich ja an den Begriff und nicht an das Wort, was
20 geht die Wörter Welt die Dinge Welt an. man sieht was das μετα-
21 φερειν für Unheil stiftet.68
22 Es ist mit ein Hauptgeschäffte der Philosophie die Dichtersprache
23 in die Sprache der gesunden Vernunfft zu übersetzen. |
24 20vEs ist unmöglich der Pfeiffenröhre vermittelst eines solchen Prü-
25 gels ein solche Geschwindigkeit zu geben, denn dieser Stoß trennt
26 schon allen Zusammenhang noch ehe das gantze die Geschwin-
27 digkeit annehmen kann, die Cohäsion wächst nicht wie die Träg-
28 heit, daher gehen die getroffenen Theile fort und die andern blei-
29 ben zurück.69 Denn ein[en] Stoß der an einem Ende des Körpers
30 angebracht wird, dem gantzen Mitzutheilen, dazu gehört ein ge-
31 wisser Grad von Zusammenhang, ein Stück Kreite wird mit dem
32 Finger Fort gestoßen, ein Klumpen Teig.
33 Noch besser: es ist völlig einerley ob der Pfeifen Stiel gegen den
34 Prügel geworfen wird, weil man eben das Rückwärts thun muß.
35 langsam mit den Fäden ausgezogen, würde[n] die Haare eher

Textkritischer Kommentar

149 1  Richtung]
149für Seite
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149 12  so]
149danach gestr. gantz
textkritik 191043
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149 27  nicht]
149danach gestr. mit der Stärcke
textkritik 191046
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149 29  Denn]
149 doppelt unterstr.
textkritik 191048
646212 183204 3
149 33  der]
149für die
textkritik 191049
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149 35  die]
149für der
textkritik 191050
646214 183204 3

Textkritischer Kommentar (Randtext)

Anmerkungen

513 (63) 
513 Franklin entwickelt seine Vorstellungen über die Kraft der Trägheit (vis inertiae) in einem „Schreiben an Herrn Baxter“, wo er gleich zu Beginn bekennt: „Ich bin nicht vermögend gewesen, die der Materie wesentliche Kraft der Trägheit […] zu begreifen. Auch glaube ich nicht […], daß es wirklich eine dergleichen Eigenschaft in der Materie gebe.“ Und in dem von L. zitierten Beispiel heißt es: „Wo ist denn nun die mächtige Kraft der Trägheit [Vis inertiae], und worinnen bestehet denn ihr Vermögen, wenn die größte anzunehmende Masse der geringsten darzukommenden Kraft weicht, oder von ihr in Bewegung gesetzt wird? Wir wollen zwey Kugeln annehmen, welche der Sonne und sich unter einander gleich sind, und in der Waage des Jupiters genau inne stehen: würde nicht eine Mücke [der zeitgenössische Übersetzer gibt „musketo“ fälschlich als „Musketenkugel“ wieder], wenn man voraussetzt, daß daß keine Reibung in dem Mittel­punkte der Bewegung, im Balken oder anderswo ist, indem sie auf eine von ihnen träfe, beyden Bewegung ertheilen; die eine zum Niedersteigen und die andere zum Aufsteigen veranlassen? […] Hier ist eine Gleichheit, welche die Hervorbringung der ganzen Bewegung der Mücke überläßt, ohne welche die Kugeln gar nicht bewegt werden würden. – Was verrichtet denn nun die Kraft der Trägheit in diesem Falle? […] Wenn sie mehr als ein Hirngespinst (phantom) wäre, würde ihrer in solch großen Körpern nicht gewiß genug seyn, um eine so nichtsbedeutende Kraft durch ihren Widerstand gegen die Bewegung zu vernichten?“ (Franklin, Kraft 1780, §S. 435 f.) – Vgl. Gamauf (1, §S. 131 f.), der L.s Gedanken so wiedergibt: „Franklins Einwurf war dieser:|
514 Wenn an einer Waage zwey Sonnen hingen, und auf die eine sich eine Mücke setzte, so würde sie die Sonne bewegen. – I freylich! der allergrößten Masse könnte man mit einem Haar die größte Bewegung geben. Man zieht einmal, fährt fort, summirt. Nur daß es die menschliche Geduld nicht aushielte, so wenig, als das menschliche Leben dazu hinreichen würde. [...] – Man sieht offenbar, daß Franklin die Inerz für etwas Positives genommen hat. – Ueberhaupt sind die Sonnen hier, nur um Damen zu blenden. Was sich von einer Billiardkugel erweisen läßt, muß auch von der Sonne gelten. Der ganze Ausdruck ist nicht in der sonst gewöhnlichen philosophischen Sprache des Mannes abgefaßt.“
anmerkung 191027
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514 66 
514 Kästner sagt von der vis inertiae (Anfangsgründe 4.1, 1793, §S. 24): „Sie übt niemals für sich eine Würkung aus, nur zeigt sie wenn sie gleichsam aufgefodert wird, eine Gegenwirkung. Ein Körper der still liegt thut nichts, bis man ihn bewegen will, alsdann hindert er dieß was ihn bewegen will. So ist diese Kraft, so zu reden nur ein Wiederhall anderer Kräfte“. Kästner zitiert­ aus Ovid (Metamorphosen, l. III, v. 357 f.) „Vocalis Nymphe quae nec reticere loquenti / Nec prior ipsa loqui didicet, resonabilis Echo.“ (Die plaudernde Nymphe, die weder schweigen kann, wenn man spricht / noch selbst gelernt hat, als erste zu sprechen, die widerhallende Echo. (Übers.: Metamorphosen 1989, 73.)) – L. bemerkte dazu am 13. Nov. 1782 (VN F 1, Bl. 8v): „Es ist dieses gewiß eine der nobelsten Anwendungen des Witzes einen mit einem eintzigen Wort, durch Aufweisung einer Aehnlichkeit, in den Besitz eines Begrifs zu setzen, der an sich offt mißverstanden worden ist.“
anmerkung 191042
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514 67 
514 „Läßt sich wohl eine Kraft gedenken, die niemahls von selbst wirkt, sondern nur widersteht?“ fragt Erxleben (§ 55) zur Trägheitskraft. Und L. notiert dazu in Erx4R (ErxH, 85): „Das käme nun hier freylich sehr auf die Vorstellung von Krafft an, die man sich machte. Die vortrefflichen Commentatoren von Newtons Principiis le Seur und Jacquier sagen: Vis duplex est, activa et passiva; activa est potentia motum efficiendi; passiva est potentia­ motum recipiendi vel amittendi. [Die Kraft ist zweifach, aktiv und passiv; aktiv ist die Fähigkeit Bewegung zu erzeugen; passiv die Fähigkeit Bewegung zu empfangen oder zu verlieren.] Und Newton definiert seine|
515 Materiae vim insitam [die der Materie innewohnende Kraft] durch poten­tiam resistendi, qua corpus unumquodque quantum in se est perseverat in statu suo vel quiescendi vel movendi uniformiter in directum [die Fähigkeit Widerstand zu leisten, wodurch ein jeder Körper, soweit es an ihm liegt, in seinem Zustand der Ruhe oder der gleichförmig geradlinigen Bewegung verharrt]. Und sagt hierauf gar unde etiam vis insita nomine significantissimo vis inertiae dici possit. [Deshalb auch kann die der Materie innewohnende Kraft mit dem sehr anschaulichen Namen Trägheitskraft bezeichnet werden.] Es ist also besser man hält sich hier an den Begrif, ohne über die Nahmen zu streiten.“ – L. bezieht sich auf Definition 3 von Newtons „Principia“ und deren Kommentar durch LeSeur und Jacquier. – Der von L. in diesem Zusammenhang zitierte Kant sagt in den MAdN (Mechanik, Anm. 2 zu Lehrsatz 4) unmißverständlich: „Die Benennung der Trägheitskraft (vis inertiae) muß also, unerachtet des berühmten Namens ihres Ur­hebers, aus der Naturwissenschaft gänzlich weggeschaft werden.“ (MAdN, 108 = KA 4, 550) – Vgl. dazu auch Anm. $ 66.
anmerkung 191044
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515 68 
515 Vgl. L.s Zusatz in Erx4, § 113.b (ErxH, 126 f.): „So wie Bildersprache Aberglauben erzeugt, so erzeugen Metaphern in der Physik bey dem unbehutsamen­ Denker oft ähnliche Irrthümer, die der Philosophie so schädlich seyn können, als jene der Religion. […] Wie hat man nicht über die Trägheit der Körper gestritten! Das Wort hatte die größte Schuld; denn es ist kaum möglich noch einen Augenblick zu streiten, sobald man das nackte, unläugbare Phänomen ansieht, ohne sich die unphilosophische Mühe zu geben­, Folgerungen aus der bloßen Benennung zu ziehen.“
anmerkung 191045
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515 69 
515 „Wenn man den langen Stiel von den weißen irrdenen Tabakspfeifen an zwey Haaren hält, und mit einem Prügel auf den Pfeifenstiel schlagen läßt, so geht derselbe entzwey, aber die Haare reißen nicht. – Die Verbindung des Pfeifenstiels mit den Haaren ist nämlich nicht so genau, daß der Schlag, den jener leidet, sich diesen in dem Augenblick mittheilte, und sie so spannte, daß sie reißen müßten. Ehe der Pfeifenstiel vermöge seiner Trägheit die Haare so spannen kann, daß sie reißen müßten, wird er in Trümmer zerbrochen“ (Gam 1, §S. 128).
anmerkung 191047
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Anmerkungen

Herausgeberkorrekturen am Drucktext

Marginalien zur sechsten Auflage

Anmerkungen von Lichtenberg

Registereinträge

0 183204 Verzeichnis der edierten Handschriften ~ NL VII D 2 ~ Bl. 20. 30029 3 149 24 20v siehe Gesamtregister.
0 183204 Verzeichnis der edierten Handschriften ~ NL VII D 2 ~ Bl. 22. 30031 3 149 3 22r siehe Gesamtregister.
0 183204 646191 Personenregister ~ Baxter, Andrew. 76 3 513 63 Baxter siehe Gesamtregister.
0 183204 646206 Verweise ~ Vorlesungsnotizen ~ Büchelgen F ~ 1, Bl. 8v. 18264 3 514 66 VN F 1, Bl. 8v siehe Gesamtregister.
0 183204 646209 Verweise ~ Vorlesungen zur Naturlehre ~ 1: Erxleben ~ Kap. 4 Mechanik ~ S. 126. 33045 3 515 68 ErxH siehe Gesamtregister.
0 183204 646208 Verweise ~ Vorlesungen zur Naturlehre ~ 1: Erxleben ~ Kap. 3 Bewegung ~ S. 85. 33463 3 514 67 ErxH , 85 siehe Gesamtregister.
0 183204 646208 Personenregister ~ Erxleben, Johann Christian Polykarp ~ Schriften ~ Anfangsgründe der Naturlehre. 1048 3 514 67 Erxleben siehe Gesamtregister.
0 183204 Verweise ~ Kompendium (41787) ~ p. 46 (Rand). 29699 3 149 14 lichtenberg Compend. Edit. 4. siehe Gesamtregister.
0 183204 Sachregister ~ Kohäsion ~ Rolle beim Impulsübertrag. 18242 3 149 27 lichtenberg Cohäsion siehe Gesamtregister.
0 183204 646191 Verweise ~ Gamaufs Erinnerungen aus Lichtenbergs Vorlesungen ~ Experimentalphysik I ~ 131. 18244 3 513 63 Gamauf (1, §S.  131 f.) siehe Gesamtregister.
0 183204 646211 Verweise ~ Gamaufs Erinnerungen aus Lichtenbergs Vorlesungen ~ Experimentalphysik I ~ 128. 18252 3 515 69 Gam 1, §S.  128 siehe Gesamtregister.
0 183204 646191 Personenregister ~ Franklin, Benjamin ~ Schriften ~ Political, Miscellaneous, and Philosophical Pieces (1779) ~ On the vis inertiae of matter ~ Ueber die Kraft der Trägheit in der Materie (dt. von G.T. Wenzel 1780). 6809 3 513 63 Franklin, Kraft 1780 siehe Gesamtregister.
0 183204 Personenregister ~ Franklin, Benjamin ~ Trägheit. 5625 3 149 16-18 lichtenberg Fräncklin. Es ist da bloses Gleich-Gewicht, allein wäre die Mücke gegen eine noch mal so große Sonne geflogen so würde die Ge- schwindigkeit nur halb so groß gewesen seyn. siehe Gesamtregister.
0 183204 646206 Personenregister ~ Kästner, Abraham Gotthelf ~ Schriften ~ Mathematische Anfangsgründe (1758– u.ö.) ~ Anfangsgründe der höhern Mechanik (1766 u.ö.) ~ 21793. 5633 3 514 66 Anfangsgründe 4.1, 1793 siehe Gesamtregister.
0 183204 Personenregister ~ Kästner, Abraham Gotthelf ~ Darstellung der Trägheit. 5627 3 149 4 lichtenberg Kästner siehe Gesamtregister.
0 183204 646208 Personenregister ~ Kant, Immanuel ~ Schriften ~ Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (1786) ~ Hrsg. von K. Pollok 1997. 7080 3 515 67 MAdN siehe Gesamtregister.
0 183204 Sachregister ~ Schwere ~ Abgrenzung gegenüber Trägheit. 4299 3 149 1-2 lichtenberg 1 würckt die Schwere nur nach einer Richtung, die Trägheit nach allen, selbst der Richtung der Schwere entgegen siehe Gesamtregister.
0 183204 Sachregister ~ Wortstreit. 4949 3 149 19-20 lichtenberg Also man halte sich ja an den Begriff und nicht an das Wort, was geht die Wörter Welt die Dinge Welt an. siehe Gesamtregister.
0 183204 646206 Sachregister ~ Datierung ~ 1782 November 13. 18263 3 514 66 13. Nov. 1782 siehe Gesamtregister.
0 183204 Sachregister ~ Versuche (Bewegung) ~ Trägheit ~ an Haaren aufgehängte Pfeifenröhre. 18178 3 149 35 lichtenberg 1 langsam mit den Fäden ausgezogen, würde[n] die Haare eher siehe Gesamtregister.
0 183204 646206 Personenregister ~ Ovidius Naso, Publius ~ Schriften ~ Metamorphoses. 7429 3 514 66 Ovid (Metamorphosen siehe Gesamtregister.
0 183204 646206 Personenregister ~ Ovidius Naso, Publius ~ Schriften ~ Metamorphoses ~ Metamorphosen (dt. von A. Rode und G. Fink 1989). 9060 3 514 66 Metamorphosen 1989 siehe Gesamtregister.
0 183204 Sachregister ~ Metaphorik. 18261 3 149 20-21 lichtenberg das μετα- φερειν siehe Gesamtregister.
0 183204 646208 Sachregister ~ erweise ~ VNat ~ ErxH ~ Kap. 3 Bewegung ~ S. 85. 33446 3 514 67 R ( ErxH , 85 siehe Gesamtregister.
0 183204 646208 Sachregister ~ Verweise ~ VNat ~ ErxH ~ Kap. 3 Bewegung ~ S. 85. 33458 3 514 67 R ( ErxH , 85 siehe Gesamtregister.
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183204528f87200072a799235148
183207528f87219476f480593359

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