Georg Christoph Lichtenberg

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Seite 51

Band 4 - VIII. Vom Lichte - Büchelgen

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0
1 Ich fahre nun mit den Illusionen fort, die die Vermischung von
2 Urtheil und Empfindung beym sehen machen
3 Die Colonnade in London auf dem Theater wo ein Hund heraus
4 kam, ein Elephant.18
5 Die wenigsten Menschen bedencken wohl, daß ein Kerl der 6
6 Schritte von mir steht immer noch einmal so groß |
7 17vDer Mahler muß das gnau beobachten.
8 Wir sehen nicht daß er eben so groß ist, sondern wir urtheilen
9 es19
10 Und wie? Wir schätzen die Entfernung 1) aus der größern Un-
11 deutlichkeit 2) aus der bekannten Entfernung selbst 3) aus der
12 Richtung unserer Augen Achse.20
13 Einige Erscheinung beym Meer
14 = 45°21
15 Bild im Text 
16 Theater.  aufwärts  der Sturm
17 altum22
18 Erscheinung des Meeres bey Schevelingen oder Scheveningen
19 Beschreibung23
20 Aber warum halten wir den Mond für näher? Antwort wir
21 haben überhaupt sehr unbestimmte Begriffe von grosen Entfer-
22 nungen zumal von unbekannten Objekten wie dem Mond
23 Ich habe keinen Grund ihn für weiter zu halten als, den Thurm
24 wo er hinter weg geht.
25 habe ich aber ein Maas so muß ich ihn für weit halten24
26 In der Nacht aufgehend ist er auch kleiner, als am Tag. |
27 18rFigur des Horizonts auf der See. NB.25
28 Nun bedencken sie einmal was das für ein Nonsense ist zu sagen
29 der Lufftball erschien so groß als ein drey Groschen stück.
30 Wie weit hast du das drey Groschen Stück gehalten. Ein drey
31 Groschen Stück kan die Welt bedecken26
32 sagt man hingegen, so groß als ein drey groschen Stück, das ich
33 in der Hand halte 8'', 12'' von meinem Auge, da habe ich allen
34 Respeckt.27
35 Erbsen, Blutkügelchen.28

Textkritischer Kommentar

51 3  Hund]
51für Licht putzer
textkritik 219160
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51 5  wenigsten]
51danach streicht Bearb. bedencken wohl daß ein
textkritik 219162
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51 5  Kerl]
51gestr. und wieder gültig gemacht
textkritik 219163
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51 14 
51erg. LB
textkritik 219166
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51 29  erschien]
51für war
textkritik 219172
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Textkritischer Kommentar (Randtext)

Anmerkungen

418 18 
418 L. „war einmahl zu London in einer italienischen Oper. Es wurde ein prächtiger Tempel vorgestellt, dessen hinterste Säulen sich weit, weit zurück verloren. Wie er so die Pracht des Tempels anstaunte, kam ein Hund über das Theater im Hintergrunde desselben gelaufen. Der sah aus wie ein Elephant und es entstund ein allgemeines Gelächter darüber. Man verglich ihn nähmlich mit den hintersten Säulen.“ (GamN, 352.) |
419
anmerkung 219161
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419 19 
419 Das hat Kepler in der „Unterredung mit dem Sternenboten“ sehr schön verdeutlicht (Kepler, Unterredung 1964, 10): „Die Entfernung sieht das Auge nämlich nicht, es erschließt sie vielmehr, wie die Optiker lehren. Nimm beispielsweise an, ein Mensch sei 3200 Schritte weit entfernt, werde jedoch unter 32 fach vergrößertem Winkel gesehen; im Vergleich dazu wird ein anderer in 100 Schritt Entfernung ohne Fernrohr gesehen. Wenn dann das Auge weiß, daß der weit entfernte Mensch die gewöhnliche Größe hat, so wird es seine Entfernung nicht größer als 100 Schritte schätzen. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die vom Fernrohr bewirkte Verdeut­lichung des Sehens.“ – Vgl. dazu auch das, was Klügel in einem der Zusätze in Priestley, Geschichte 2, 1776, 519 f. zitiert. Dort heißt es, daß ein Maler schlecht male, wenn er sich blindlings auf das Bild der Camera obscura ver­lasse; denn wer „richtig malen will, muß wirkliche Gegenstände so in sein Gemälde bringen, daß das Auge des Anschauers eben so über die Ent­fernung und Größe zu urtheilen geleitet wird, wie in der Natur selbst. Weil nun bey einem Gemälde die übrigen Gründe wegfallen, woraus man die Größe und Entfernung der Gegenstände sonst beurtheilet, so muß der Maler dieselben nicht so auszeichnen, wie sie sich in der Camera obscura abwerfen, sondern so groß, als sie der Seele in ihrem aus allen Datis zusam­men bestimmten Urtheile vorkommen. Er muß sie also bloß nützen, um die Lage und Ordnung der Gegenstände in gehöriger Richtigkeit zu zeichnen; aber nachher muß er diese selbst fleißig ansehen, um das Bild in allen Stücken ähnlich zu machen.“
anmerkung 219164
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419 20 
419 Bei weit entfernten Objekten stehen die Augenachsen parallel (Ein­stellung „unendlich“); bei nahen wirkt nicht nur die Akkomodation (Ver­änderung der Krümmung der Augenlinse), sondern die Augenachsen bilden einen Winkel, den sogenannten Konvergenzwinkel Bild im Text, wobei a der Abstand der Augenachsen und e die Entfernung des Objekts bedeuten.
anmerkung 219165
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419 21 
419 Vgl. dazu auch die Notizen in VN J 3, 2r: „Scheinbare Gröse ein gleicher Winckel ist im Auge // ja der Winckel, unter welchem wir Dinge sehen // wie sie abnimmt, und wie man sich da irrt. Figur der See bey Scheveningen // Dieses ist ein äusserst wichtiger Artickel. Allee von Bäumen / Menschen Bild im Text / der aufgehende Mond, umständlich / das zusammen gedrückte Gewölbe des Himmels / Der Winckel von 45°“. (Meint L. hier, daß man wegen des scheinbar zusammengedrückten Him­melsgewölbes Winkel falsch schätzt, d. h. als Halbierung des Bogens zum Zenit einen geringeren Winkel als 45° anzeigt?)
anmerkung 219167
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419 22 
419 Nicht ermittelt.
anmerkung 219168
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419 23 
419 „Wenn Sie die See in vollem Lüster sehen wollen“ schreibt L. am 21. April 1786 an Amelung (Bw 3, Nr. 1435 [199]), „so versäumen Sie ja nicht Scheveningen oder Schevelingen 1 Stunde vom Haag [...] zu besuchen. Der Prospekt ist da vortrefflich, weil keine Inseln gegenüber liegen auch keine Tiefe des Hafens durch die Menge der Schiffe die Aussicht versteckt“. Denn dann bemerkt man, daß die Horizontlinie (anscheinend) gekrümmt |
420 ist, d. h. daß sie an den Außenrändern das Gesichtsfeldes ansteigt und also nach unten zu konvex wird. (Vgl. Anm. 25.)
anmerkung 219169
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420 24 
420 Das ist die sogenannte „Mondtäuschung“, d. h. die Tatsache, daß der Mond am Horizont größer zu sein scheint als in maximaler Höhe. Es ist eine Sinnestäuschung, die die Menschen seit der Antike beschäftigt hat. (Zu den Einzelheiten vgl. z. B. Rock, Wahrnehmung 1985, 21 – 25.)
anmerkung 219170
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420 25 
420 Die subjektive Horizontalebene liegt nach Schober um rund 1 bis 3° tiefer als der objektive (wahre) Horizont. Wegen dieses „scheinbaren Ansteigens des wahren Horizonts hat man den Eindruck, als ob die See eine flache Schale bilde, in derem Grund das Schiff fährt. Der obere Schalenrand ist durch den zu hoch erscheinenden wahren (objektiven) Horizont dar­gestellt. Der Effekt wird am Tage noch dadurch verstärkt, daß dann das Himmelsgewölbe als flacher Deckel der Schale wirkt.“ (Schober, Sehen 2, 1964, 407.)
anmerkung 219171
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420 26 
420 Das heißt: bei gleichem Sehwinkel kann ein kleines (nahes) Objekt ein (weiter entferntes) größeres völlig bedecken.
anmerkung 219173
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420 27 
420 Weil dann eine Aussage über den Sehwinkel gemacht werden kann.
anmerkung 219174
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420 28 
420 Ähnlich im „Büchelgen“ D (VN D 3, 2r): „Thorheit der Redens Ar­ten der Mond so groß wie ein Zinnen Teller die Blutkügelchen wie Erbsen der Jupiter wie ein Rockknopf“.
anmerkung 219175
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Anmerkungen

Herausgeberkorrekturen am Drucktext

Marginalien zur sechsten Auflage

Anmerkungen von Lichtenberg

Registereinträge

0 200680 744728 Verweise ~ Briefwechsel ~ Nr. 1435 an Amelung. 19296 4 419 23 Bw 3, Nr. 1435 siehe Gesamtregister.
0 200680 744726 Verweise ~ Vorlesungsnotizen ~ Büchelgen J ~ 3, Bl. 2r. 19291 4 419 21 VN J 3, 2r siehe Gesamtregister.
0 200680 744734 Verweise ~ Vorlesungsnotizen ~ Büchelgen D ~ 3, Bl. 2r. 19297 4 420 28 VN D 3, 2r siehe Gesamtregister.
0 200680 Verzeichnis der edierten Handschriften ~ NL VII F 2, K 5 ~ Bl. 18. 31885 4 51 27 18r siehe Gesamtregister.
0 200680 Sachregister ~ Größe, scheinbare. 3005 4 51 20-35 lichtenberg 1 Aber warum halten wir den Mond für näher? Antwort wir haben überhaupt sehr unbestimmte Begriffe von grosen Entfer- nungen zumal von unbekannten Objekten wie dem Mond Ich habe keinen Grund ihn für weiter zu halten als, den Thurm wo er hinter weg geht. habe ich aber ein Maas so muß ich ihn für weit halten 24 In der Nacht aufgehend ist er auch kleiner, als am Tag. | 18r Figur des Horizonts auf der See. NB . 25 Nun bedencken sie einmal was das für ein Nonsense ist zu sagen der Lufftball erschien so groß als ein drey Groschen stück. Wie weit hast du das drey Groschen Stück gehalten. Ein drey Groschen Stück kan die Welt bedecken 26 sagt man hingegen, so groß als ein drey groschen Stück, das ich in der Hand halte 8 '' , 12 '' von meinem Auge, da habe ich allen Respeckt . 27 Erbsen, Blutkügelchen. 28 siehe Gesamtregister.
0 200680 744720 Verweise ~ Gamaufs Erinnerungen aus Lichtenbergs Vorlesungen ~ Experimentalphysik II ~ 355. 19295 4 418 18 GamN, 352 siehe Gesamtregister.
0 200680 Sachregister ~ London ~ Theater. 22727 4 51 3 lichtenberg London siehe Gesamtregister.
0 200680 744723 Personenregister ~ Kepler, Johannes ~ Schriften ~ Dissertatio cum nuncio sidereo (1610) ~ Unterredung mit dem Sternenboten (dt. von F. Hammer 1964). 8695 4 419 19 Kepler, Unterredung 1964 siehe Gesamtregister.
0 200680 744723 Personenregister ~ Klügel, Georg Simon ~ Übersetzer ~ [1775–1776] Priestley, The history and present state of discoveries relating to vision, light and colours (1772). 18273 4 419 19 Klügel siehe Gesamtregister.
0 200680 Sachregister ~ Sehen ~ Entfernung bzw. Größe schätzen. 4336 4 51 3-12 lichtenberg Die Colonnade in London auf dem Theater wo ein Hund heraus kam, ein Elephant. 18 Die wenigsten Menschen bedencken wohl, daß ein Kerl der 6 Schritte von mir steht immer noch einmal so groß | 17v Der Mahler muß das gnau beobachten. Wir sehen nicht daß er eben so groß ist, sondern wir urtheilen es 19 Und wie? Wir schätzen die Entfernung 1) aus der größern Un- deutlichkeit 2) aus der bekannten Entfernung selbst 3) aus der Richtung unserer Augen Achse. siehe Gesamtregister.
0 200680 Sachregister ~ Sehen ~ Entfernung bzw. Größe schätzen. 4336 4 51 20-25 lichtenberg Aber warum halten wir den Mond für näher? Antwort wir haben überhaupt sehr unbestimmte Begriffe von grosen Entfer- nungen zumal von unbekannten Objekten wie dem Mond Ich habe keinen Grund ihn für weiter zu halten als, den Thurm wo er hinter weg geht. habe ich aber ein Maas so muß ich ihn für weit halten 24 siehe Gesamtregister.
0 200680 Sachregister ~ Sehen ~ optische Täuschung. 22729 4 51 1-6 lichtenberg 1 Ich fahre nun mit den Illusionen fort, die die Vermischung von Urtheil und Empfindung beym sehen machen Die Colonnade in London auf dem Theater wo ein Hund heraus kam, ein Elephant. 18 Die wenigsten Menschen bedencken wohl, daß ein Kerl der 6 Schritte von mir steht immer noch einmal so groß siehe Gesamtregister.
0 200680 Sachregister ~ Sehen ~ optische Täuschung. 22729 4 51 13-27 lichtenberg Einige Erscheinung beym Meer = 45° 21   Theater.  aufwärts  der Sturm altum 22 Erscheinung des Meeres bey Schevelingen oder Scheveningen Beschreibung 23 Aber warum halten wir den Mond für näher? Antwort wir haben überhaupt sehr unbestimmte Begriffe von grosen Entfer- nungen zumal von unbekannten Objekten wie dem Mond Ich habe keinen Grund ihn für weiter zu halten als, den Thurm wo er hinter weg geht. habe ich aber ein Maas so muß ich ihn für weit halten 24 In der Nacht aufgehend ist er auch kleiner, als am Tag. | 18r Figur des Horizonts auf der See. NB . siehe Gesamtregister.
0 200680 744728 Personenregister ~ Lichtenberg, Georg Christoph ~ Biographisches ~ Brief an ~ G.H. Amelung. 22733 4 419 23 L. siehe Gesamtregister.
0 200680 744728 Sachregister ~ Datierung ~ 1786 April 21. 22732 4 419 23 21. April 1786 siehe Gesamtregister.
0 200680 Personenregister ~ Lichtenberg, Georg Christoph ~ Biographisches ~ Reisen ~ England, zweite Reise ~ Theaterbesuch. 22726 4 51 3-4 lichtenberg Die Colonnade in London auf dem Theater wo ein Hund heraus kam, ein Elephant. siehe Gesamtregister.
0 200680 Sachregister ~ Münzen ~ Dreigroschenstück. 26059 4 51 29-32 lichtenberg drey Groschen stück drey Groschen Stück drey Groschen Stück drey groschen Stück siehe Gesamtregister.
0 200680 744723 Personenregister ~ Priestley, Joseph ~ Schriften ~ The history and present state of discoveries relating to vision, light and colours (1772) ~ Geschichte und gegenwärtiger Zustand der Optik (dt. von G.S. Klügel 1775–1776). 9162 4 419 19 Priestley, Geschichte 2, 1776 siehe Gesamtregister.
0 200680 Sachregister ~ Scheveningen. 22728 4 51 18 lichtenberg Schevelingen oder Scheveningen siehe Gesamtregister.
0 200680 Sachregister ~ Mondtäuschung. 22734 4 51 20 lichtenberg Aber warum halten wir den Mond für näher? siehe Gesamtregister.
0 200680 744729 Personenregister ~ Rock, Irvin ~ Schriften ~ Wahrnehmung. Vom visuellen Reiz zum Sehen und Erkennen (1985). 9225 4 420 24 Rock, Wahrnehmung 1985 siehe Gesamtregister.
0 200680 744730 Personenregister ~ Schober, Herbert ~ Schriften ~ Das Sehen (1950–54; 31960–64). 9308 4 420 25 Schober, Sehen 2, 1964 siehe Gesamtregister.
0 200680 744728 Personenregister ~ Amelung, Gotthilf Hieronymus ~ Brief von L.. 22731 4 419 23 Amelung siehe Gesamtregister.
200680
20068052cefc8fc4f92090452161

Abbildungen

Digitalisate

020068045100handschriftVNat_4VII_F2_K5_16v-17r.jpg[17r] VII F 2, K 5, [17r]
0200680451701handschriftVNat_4VII_F2_K5_17v-18r.jpg17v VII F 2, K 5, 17v
02006804512701handschriftVNat_4VII_F2_K5_17v-18r.jpg18r VII F 2, K 5, 18r
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