Georg Christoph Lichtenberg

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Seite 84

Band 4 - VIII. Vom Lichte - Heffte

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1 1)die optischen Nerven durchkreutzen sich und es giebt also
2 eine Vereinigungs-Stelle und folglich treffen die Bilder auf der
3 Sella Turcica in Eins zusammen. Newton.235
4 2)Es ist eine natürliche Disposition vorhanden, eine Einrichtung
5 unserer Natur, zu glauben die Dinge befinden sich in der
6 Linie, die Mittsenckrecht auf die Netzhaut in der Stelle steht,
7 wo das Bild hinfallt. Porterfield.236
8 3)Es ist Gewohnheit. Wir sehen anfangs die Gegenstande
9 dop[p]elt, aber endlich belehrt uns unser Gefühl, [daß] Gegen-
10 stand[e] die so gantz einerley lage gegen Correspondirende
11 Theile der Augen haben, nur einmal da sind, und so gewöh-
12 nen sich gewisse Theile zusammen237
13 kein entbehren[?]
14 Contra 1) Man begreift alsdan nicht warum [man] mit 2 Augen
15 doppelt sie[h]t das sehr leicht zu erhalten steht238
16 Contra 2) Obgleich Porterfields Satz, daß er die optischen Ner-
17 ven getrennt gefunden habe bey Leuten die nicht doppelt
18 gesehen haben wohl nicht richtig ist und die optischen Nerven
19 sich wircklich auf der Sella turcica vereinigen, ob es gleich kein
20 Durchkreutzen seyn mag239 | 1vso ist doch seine Erklärung viel
21 zu künstlich. Das Aug[en] nicht Entfernungen messen können,
22 und ohne von der Entfernung unterrichtet zu seyn könte man
23 nie wissen ob ein Gegensta[n]d zweymal oder einmal da
24 wäre.240
25 S. Excerpta phys. p. 100 101.241
26 Gegen die dritte streitet der Umstand, daß wenn es blos von Ge-
27 wohnheit abhienge, man sich auch würde gewöhnen konnen
28 müssen, durch den Doppelspalt, mit einem und demselben
29 Auge, dieselbe Sache einfach zu sehen.242
30 IV) mit einem Auge nur
31 Es scheint also wohl gewiß, daß die Wahrheit hierin liege: Wir
32 halten Gegenstände für eins, deren Bilder auf correspondirende
33 Theile fallen, aber diese Theile sind kein Werck der Gewohnheit,
34 sondern eine natürliche Disposition da uns nun unser Gefühl

Textkritischer Kommentar

84 2 – 3  auf … Turcica]
84erg.
textkritik 219521
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84 6  die1]
84danach gestr durch deren Mittelquer Axe der
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84 9 – 11  Gegenstände … sind]
84für daß sie nur einfach sind
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84 13 
84LB
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84 25 
84erg. auf Bl. 1r
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84 30 
84LB
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84 31  hierin liege]
84für hier in einer Meinung liege, die
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84 34 – 85,2  da … fallen.]
84erg.
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Textkritischer Kommentar (Randtext)

Anmerkungen

475 235 
475 In der „Quaestio XV“ heißt es bei Newton (Optik 1983, 228): „Vereinigen sich nicht die mit beiden Augen gesehenen Bilder von Objecten da, wo die Sehnerven vor ihrem Eintritte in das Gehirn zusammenstossen, indem die Fasern auf der rechten Seite beider Nerven sich daselbst vereini­gen und von da, zu einem auf der rechten Seite des Kopfes gelegenen Nerv vereinigt, nach dem Gehirn gehen, und ebenso an derselben Stelle die Fasern auf der linken Seite beider Nerven sich vereinigen und als ein auf der linken Seite des Kopfes liegender Nerv nach dem Gehirn gehen? Diese zwei Nerven treffen im Gehirn dergestalt zusammen, dass ihre Fasern nur ein einziges, ganzes Bild erzeugen [...]“. (Vgl. ders., Optice 1740, 177 f.) – NB. Sella turcica, der Türkensattel, ist der Sitz der Hypophyse.
anmerkung 219522
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475 236 
475 „Every Point of an Object“, schreibt Porterfield (Treatise 2, 1759, 293), „appears and is seen without the Eye, nearly in a straight Line drawn perpendicularly to the Retina from that Point of it where its Image falls.“ Und im dazugehörigen Scholion heißt es (ebd., 299): „The Judgments we form of Objects being placed without the Eye in those perpendicular Lines, or, which is nearly the same Thing, the Judgments we form of the Situation and Distance of visual Objects, depend not on Custom and Experience, but an original, connate and immutable Law to which our Minds have been subjected from the Time they were at first united to our Bodies.“
anmerkung 219524
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475 237 
475 „Wie wir durch das Gesichte Begriffe bekommen.“, heißt es im 5. Kap. des 1. Buches von Smith’s ‚Optik‘. Smith schreibt (Lehrbegriff 1755, 45): „Fragt man nun, weßwegen die doppelte Empfindung, wenn man mit beyden Augen sieht, nicht allemal doppeltes Sehen verursacht, so glaube ich, die Antwort wird zulänglich seyn, daß bey dem ordentlichen Gebrauche unserer Augen, wo beyde Bilder auf zusammengehörige Punkte fallen, die Empfindung des Gefühles, nach der wir uns allezeit richten, uns gelehret hat, daß die Sache nur einzeln ist. […] Hr. Chesselden meldet, es sey jemanden das Auge durch einen Schlag auf den Kopf, verdrückt worden, |
476 worauf ihm alle Dinge doppelt geschienen, nach und nach aber, habe er die gemeinsten Sachen, und endlich alle, nur einfach gesehen, ob die Ver­drückung wohl immer geblieben. (Chesseld., Anatomy, p. 324. III. Auf.) Dieses ist eine starke Bekräftigung für das Angeführte, daß die Urtheile von der Menge und den Stellen äußerer Sachen, nur aus der Erfahrung her­fließen“. – In einer Anmerkung wird von einem erblindeten Menschen be­richtet, der wieder sehend geworden (Smith, Lehrbegriff 1755, 397, Anm. 152), „da wären ihm denn, als er wieder angefangen zu sehen, alle Sachen doppelt vorgekommen, nachgehends hätten sich die beyden Erscheinungen einander genähert, und wären endlich in eine zusammen gegangen, er habe auch so deutlich gesehen, als vor seiner Blindheit.“
anmerkung 219526
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476 238 
476 Man kann mit zwei Augen doppelt sehen, wenn man den Augapfel (und damit die Augenachse) mit dem Finger verschiebt, oder beim Konver­gieren.
anmerkung 219528
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476 239 
476 „Altho’ the optic Nerves are united at the Sella Turcica“, schreibt Porterfield (Treatise 2, 1759, 283), „yet this happens without any Con­fusion or Decussation of their Fibres. It is indeed true, that their Conjunc­tion is so close, that their Substances seem to be confounded; yet there are several Observations which prove that they are united only by a close Con­junction, without any Decussation, Intersection, Mixture or Confusion of Substance“.
anmerkung 219529
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476 240 
476 Vgl. dazu die Kritik von Thomas Reid an Porterfield: Um die Entfer­nung des Gegenstandes zu kennen, d. h. um zu erkennne, ob die Seh-Linien, die vom Mittelpunkte der beiden Augen gezogen werden, in demselben Punkte enden, meint Reid (Untersuchung 1782, 285), brauchten wir die folgenden Daten: „Wir müssen wissen, ob diese beyden geraden Linien auf Einer Fläche sind; wir müssen wissen, welchen Winkel sie machen, und müssen die Entfernung zwischen den Mittelpunkten der Augen wissen. Und, wenn diese Dinge bekannt sind: so müssen wir die Regeln der Trigo­nometrie noch gebrauchen, ehe wir die Frage auflösen können: »ob die Gegenstände der beyden Augen auf ein und derselben Stelle, und folglich, ob ihrer zwey, oder nur einer sind?“
anmerkung 219530
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476 241 
476 Die Seiten 79 bis 138 fehlen im Exzerptenheft. (Sie sind herausgeris­sen.)
anmerkung 219532
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476 242 
476 Vgl. dazu die Sudelbucheintragung L 823: „Wenn man das einfache Sehen mit zwey Augen von einer bloßen Gewohnheit herleitet, so könte man so schließen: Die Stell[e] a im Auge A gewöhne sich an b im Auge B; ferner gewöhne sich a in A auch an c in B: so wäre es möglich, daß sich auch c an b in demselben Auge B gewöhnte, man müßte denn annehmen, daß sich kein[e] Stellen in demselben Auge an einander gewöhnen können, welches auch wohl wahr seyn mag.“
anmerkung 219533
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Anmerkungen

Herausgeberkorrekturen am Drucktext

Marginalien zur sechsten Auflage

Anmerkungen von Lichtenberg

Registereinträge

0 200713 745092 Verweise ~ Sudelbücher ~ L 823. 19391 4 476 242 Sudelbucheintragung L 823 siehe Gesamtregister.
0 200713 Verweise ~ Excerpta mathematica et physica (NL VI 55) ~ p. 100–101 [nicht überliefert]. 26239 4 84 25 lichtenberg S. Excerpta phys. p. 100 101 siehe Gesamtregister.
0 200713 Sachregister ~ Sehen ~ einfach sehen. 12398 4 84 1-34 lichtenberg 1 1 1) die optischen Nerven durchkreutzen sich und es giebt also eine Vereinigungs-Stelle und folglich treffen die Bilder auf der Sella Turcica in Eins zusammen. Newton . 235 2) Es ist eine natürliche Disposition vorhanden, eine Einrichtung unserer Natur, zu glauben die Dinge befinden sich in der Linie, die Mittsenckrecht auf die Netzhaut in der Stelle steht, wo das Bild hinfallt. Porterfield . 236 3) Es ist Gewohnheit. Wir sehen anfangs die Gegenstande dop[p]elt, aber endlich belehrt uns unser Gefühl, [daß] Gegen- stand[e] die so gantz einerley lage gegen Correspondirende Theile der Augen haben, nur einmal da sind, und so gewöh- nen sich gewisse Theile zusammen 237 kein entbehren[?] Contra 1 ) Man begreift alsdan nicht warum [man] mit 2 Augen doppelt sie[h]t das sehr leicht zu erhalten steht 238 Contra 2) Obgleich Porterfields Satz , daß er die optischen Ner- ven getrennt gefunden habe bey Leuten die nicht doppelt gesehen haben wohl nicht richtig ist und die optischen Nerven sich wircklich auf der Sella turcica vereinigen, ob es gleich kein Durchkreutzen seyn mag 239 | 1v so ist doch seine Erklärung viel zu künstlich. Das Aug[en] nicht Entfernungen messen können, und ohne von der Entfernung unterrichtet zu seyn könte man nie wissen ob ein Gegensta[n]d zweymal oder einmal da wäre. 240 S. Excerpta phys. p. 100 101. 241 Gegen die dritte streitet der Umstand, daß wenn es blos von Ge- wohnheit abhienge, man sich auch würde gewöhnen konnen müssen, durch den Doppelspalt, mit einem und demselben Auge, dieselbe Sache einfach zu sehen. 242 IV) mit einem Auge nur Es scheint also wohl gewiß, daß die Wahrheit hierin liege: Wir halten Gegenstände für eins, deren Bilder auf correspondirende Theile fallen, aber diese Theile sind kein Werck der Gewohnheit, sondern eine natürliche Disposition da uns nun unser Gefühl siehe Gesamtregister.
0 200713 745081 Personenregister ~ Newton, Isaac ~ Schriften ~ Optics (1704) ~ Optice (lat. von S. Clarke 1706 u.ö.) ~ Ausg. Lausanne u. Genf 1740.. 7418 4 475 235 Optice 1740 siehe Gesamtregister.
0 200713 745081 Personenregister ~ Newton, Isaac ~ Schriften ~ Optics (1704) ~ Optik (dt. von W. Abendroth 1898; Nachdruck 1983 u.ö.). 7419 4 475 235 Optik 1983 siehe Gesamtregister.
0 200713 Personenregister ~ Newton, Isaac ~ Licht ~ Sehen. 22901 4 84 3 lichtenberg Newton siehe Gesamtregister.
0 200713 745083 Personenregister ~ Porterfield, William ~ Schriften ~ A treatise on the eye, the manner and phaenomena of vision (1759). 9145 4 475 236 Porterfield (Treatise 2, 1759 siehe Gesamtregister.
0 200713 745088 Personenregister ~ Porterfield, William ~ Schriften ~ A treatise on the eye, the manner and phaenomena of vision (1759). 9145 4 476 239 Porterfield (Treatise 2, 1759 siehe Gesamtregister.
0 200713 Personenregister ~ Porterfield, William ~ Erklärung des Einfachsehens. 22903 4 84 7 lichtenberg Porterfield . siehe Gesamtregister.
0 200713 Personenregister ~ Porterfield, William ~ Erklärung des Einfachsehens. 22903 4 84 16 lichtenberg Porterfields siehe Gesamtregister.
0 200713 745089 Personenregister ~ Reid, Thomas ~ Schriften ~ An inquiry into the human mind (1764) ~ 31769 ~ Untersuchung über den menschlichen Geist (dt. 1782). 9184 4 476 240 Untersuchung 1782 siehe Gesamtregister.
0 200713 745085 Personenregister ~ Smith, Robert ~ Schriften ~ A compleat system of opticks (1738) ~ Vollständiger Lehrbegriff der Optik (dt. von A.G. Kästner 1755). 9349 4 475-476 237 Lehrbegriff 1755 Smith, Lehrbegriff 1755 siehe Gesamtregister.

Abbildungen

Digitalisate

020071348400handschriftVNat_4VIII_D6_01r.jpg1r VIII D 5, 1r
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