Zeugnisse über Lichtenberg
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1noch die Gallsucht jenes Misanthropen. Lichtenberg war im
2Grunde ein wohlwollender Mensch; seine Einfälle entfuhren ihm
3selten unwillkürlich; wo nicht in seiner Unterhaltung, doch in sei-
4nen Schriften merkte man zu oft Absicht und Anstrengung. Lich-
5tenbergs Schriften sind übrigens als Muster eines ächt deutschen
6Styls zu empfehlen, und wie viele gediegene Worte sind nicht dar-
7in aufbewahrt, die den tiefen Denker verrathen! In seinen Vor-
8lesungen war es ihm zu sehr Ernst mit der Wissenschaft, als daß er
9seine Zuhörer durch Späße zu belustigen gesucht hätte. Einmal
10jedoch gab ihm die sogenannte lustige Gesellschaft Veranlassung
11zu einem gut angebrachten Spotte. Sie hatte eine Schlittenpartie
12eingerichtet, aber an dem dazu bestimmten Tage trat ein solches
13Thauwetter ein, daß aller Schnee zu Wasser wurde. Da die bestell-
14ten Pferde dennoch bezahlt werden mußten, so wollte man sie
15doch nicht ganz unbenutzt lassen, und ließ sie behangen mit Schel-
16len vor Kariolen und allerlei Fuhrwerk spannen, womit nun der
17Zug, Vorreiter voran, durch alle Straßen jagte. Als er bei Lichten-
18bergs Hause vorbeikam, zog der Lärm seine Zuhörer und ihn
19selbst an die Fenster. »Ei, ei sagte er lächelnd, die Temperatur hat
20freilich einen Sprung gemacht, aber ich glaubte doch nicht, daß sie
21uns so plötzlich in die Hundstage versetzt hätte.« Am liebenswür-
22digsten war er, wenn er einer kleinen Gesellschaft, nachdem die
23Gäste ein wenig gezecht hatten und die Unterhaltung lebhaft ge-
24worden war, von dem allgemeinen Frohsinn fortgerissen, ohne
25witzig sein zu wollen, sich seiner Laune überließ; dann fielen ihm
26eine Menge lustiger Anekdoten ein, die er auf eine anmuthige
27Weise und nicht selten am Schlusse mit einer überraschenden
28Wendung erzählte. Oft konnte man sich diesen Genuß nicht ver-
29schaffen. Seiner schwächlichen Gesundheit wegen ging er nur sel-
30ten und in der letzten Zeit meines Aufenthalts,87 gar nicht mehr
31aus dem Hause.88